162 Bücher
|
Max Dauthendey
Weltspuk
. 1. Auflage 1910
Gartenwelt
Der offene Mohn erhellt die Gartenwelt verwundert,
Die Morgensonne fällt durch feuerrote Kressenblüten,
Und Schmetterlinge, all die hundert weißen, stummen,
Auf heiße Blumen hingestellt, als ob sie brüten.
Gleich Bienenstöcken alle Bäume brummen,
Sie wachsen ihre krummen Wege in die Luft.
Sie blähen sich, gleich grünen Weiberröcken,
Und stehen doch gedankengroß auf ihren Pflöcken;
Wohnen zur Hälfte lichtlos in der Gruft,
Lebend begraben mit den Wurzelstöcken.
Und sind bewegt, aufwiegelnd anzusehen,
Die blanken Kronen in der Freiheit spiegelnd,
Indes die trägen Wurzeln dunkel gehen
Und sich im Erdschacht bei den Würmern regen.
Die Bäume legen uns, von drunten aus der Nacht,
Den Schatten hin, den schwarzen, schrägen,
Und haben Kühle mit heraufgebracht
Aus ihren unterirdischen Wurzelwegen.
Wie Frohgefühle stehen sie beim Tagesgeiste
Und graben tief nach unentdeckten Quellen,
Und sind erhaben Leidenschaften, himmeldreiste,
Die sich errichten über Erdenzellen.
Hinstellen über dem Gewürm
Der Blätter rauschendes Getürm
Und füllen ihre Brust, enthüllen unbewußt
Sich Dunkelm und dem Hellen.
Sind offene Käfige, drin Vogelherzen dichten,
Und stecken mit den Füßen in der Erde Schmerzen
Und decken mit den Kronen ihrer Erde Trubel,
Indessen Liederjubel sie beschwichten.
Das macht den Garten mehr als einen grünen Tisch,
Daß unterirdisch Baum und Blumen sich erleben,
Und nicht nur wie im Raum, als bunter Wolkenwisch,
Die Gärten farbig vor den Augen schweben.
Daß sie, wie ohne Schranken, versenken und erheben,
Frisch wie Gedanken und Gefühl,
Und wie der Liebsten kühl und hitziges Gemisch.
Max
Dauthendey . 1867 - 1918
|
|