Gedichte.eu Impressum    

Gedichte, Lyrik, Poesie

Und aber ründet sich ein Kranz
162 Bücher



Christian Morgenstern
Und aber ründet sich ein Kranz . 1. Auflage 1902



(Nordstrand.)

I.

Ihr dunklen Tanneninseln, eurer denk' ich oft.
Wenn so der rote Abend gleichsam aus euch wuchs, -
den Himmel überwuchs, - als hättet ihr den Tag
nun endlich ganz in euch hinein, hinab gedacht,
und kreisstet nun vom Feuer des verschlungenen
Sonnengedankens, stelltet ihn nun wieder aus euch dar,
wie Künstler ein Stück Welt, das sie in sich gesaugt, -
wie Denker eine Wahrheit, die sie bluten macht -!
Ihr dunklen Tanneninseln, eurer denk' ich oft.


II.

Des Frühlings unbestimmte Ahnung füllt die Luft.
Tiefschmerzlich-schwärzliche Gewölke ruhen gross
am geisterblassen Firmament der Abendnacht.
Erhabner Tragik unbeschreibliche Gewalt
strömt aus des Himmels abgrundtiefer Dämmerung,
steigt aus der Berge trauerblauem Schattenschoss,
weht von der Wasser meilenweitem Wogenplan
den Menschen an, dem jeder stummgewordne Schmerz
mit unterirdischem Ruf vor diesem Blick erwacht.


III.

O Trauer, die mir immer wieder, wie ein Wind,
ein allzu lauer, in die seltsame Seele greift
und dunkle Gründe, die verborgnes Eis bedeckt,
(je heitrer aber eine tiefe Seele ist,
je stärker bindet ihres Abgrunds Quellen Eis,
die sonst, entfesselt, all ihr Glück vernichteten)
mit ihrem Thränenhauch gefährlich lösend streift, -
o Trauer, weiche, weiche doch von mir; ich bin
vor deinem Tauwind Frühling, Frühling noch zu sehr!


(Molde.)
IV.

O diese Vormittage, trunken von Glanz und Glück!
O dieser Meeres-, Berges-, Himmelsbläuen seliges Spiel!
Wenn über des Fjordes lichtazurne Fläche so
ein leichter Wind mit violendunklen Fluten naht!
Du stehst und wartest auf dem sonnigen Dampfschiffsteg;
und wie die vorderste Welle sich am Pfeiler bricht
und dich der erste Hauch anatmet, frisch und kühl,
da trifft er auf dem glänzenden Spiegel deines Augs
verwandte Feuchte, - und du schauerst im Innersten.


V.

Die schneebedeckten Gipfel rötet Abendlicht.
Die Heiterkeit der Gletscher! Keines Menschen Fuss
entweiht des Himmels kühles, reines Höhngeschenk,
den Blütenschnee vom Weltbaum des Erkenntnisses.
Ein Regenbogen wächst von ihnen zu mir her, -
die einzige Brücke zu der grünen Welt und mir.
Und flüchtig misst mein leichter Geist die bunte Bahn -
und salbt sich mit dem roten, reinen, kühlen Schnee ...
und schon verblasst Rückeilendem so Luft wie Firn.


VI.

Tiefsinnig blaun die Berge durch die Dämmernacht,
(Im Dorf die Glocke scholl soeben zwölf)
vom wolkenvollen Himmel brütend überdrückt,
vom regungslosen Fjorde bleiern eingefasst.
Und eine Stille! Hämmer schmieden hallend Erz, -
unzählige Glocken läuten Sturm, - Gesang
erfüllt die Lüfte, - Unterweltliches reckt sich dumpf, -
ein Ringen wie von Schatten wälzt sich durch den Raum, -
und aus der Ferne klagt ein langgezogener Ton - - -


VII.

Schon graut der Tag. Und ist noch Mitternacht.
Die Meisen zwitschern schon im erwartungsvollen Wald.
Die Tannen atmen stärker in der kühlem Luft.
Die kleinen Quellen schwatzen schon, geschäftig wach.
(Ganz anders redet solch ein Quell in dunkler Nacht.)
Und von des Berges Gipfel, dem der Osten schon
sich rötet, kommt ein Wandrer durch den Wald herab
und singt des Lands schwermütige Lieder vor sich hin, -
und Thränen stürzen ihm ins Aug', indes er singt.


(Bergen.)
VIII.
(Bei einer Weise von Grieg.)

Schwill, süsse, bittre Klage, in des Abendwindes
sehnsüchtig Atmen hinüber, hebt euch beide so
zum toten Gewölk, die Geisterschwingen noch einmal
in Sonne tauchend, sterbende Schwäne der Dämmerung,
mit Götterstimmen die tiefe flammende Unendlichkeit,
den ewigen Morgen der Geburten singend, - und,
die purpurschweren Fittige dann mit einem Mal
sinken lassend, - Sonnengold im gebrochenen Aug', -
stürzt nieder in den violetten Schattenschoss der Nacht!


  Christian Morgenstern . 1871 - 1914






Gedicht: (Nordstrand.)

Expressionisten
Dichter abc


Morgenstern
Auf vielen Wegen
Ein Sommer
...ründet sich ein Kranz
Melancholie
Einkehr
Ich und Du
Wir fanden einen Pfad

Intern
Fehler melden!

Internet
Literatur und Kultur
Autorenseiten
Internet





Partnerlinks: Internet


Gedichte.eu - copyright © 2008 - 2009, camo & pfeiffer

(Nordstrand.), Christian Morgenstern