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Und aber ründet sich ein Kranz
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Christian Morgenstern
Und aber ründet sich ein Kranz . 1. Auflage 1902



Ode an das Meer

Im Schnee der Alpen hör' ich von dir, o Meer,
wie du des Landes felsige Küste schlugst,
des Landes, des ich treu gedenke,
liebend gedenke wie einer Heimat.

Und durch die Ferne rollt mir dein Donnerton,
vermein' ich, fürchterliche Gewissheit zu:
"Dass solche Mären nimmer lügen,
der du mich kennen gelernt, du weisst es."

Ich weiss es, Zeuge manch einer Schreckensnacht,
da du mit fahlen Wogen gewandert kamst,
mit unerschöpflich sturmgebornen,
aus deiner Wüste, der grenzenlosen.

Ein bleiches Band, erglomm deiner Brandung Gischt,
ein greller Reif, mit dumpfem, eintönigem
Gedröhn in ungezählten Lagen
um das bedrängte Gestad' geschmiedet.

Und aus dem Dunkel braute wahnwitzig wild
der Wind und regte des Hauses Festen auf
und warf des Regens jähe Schauder
wider die Scheiben, dadurch ich starrte.

O Meer, o Meer, wie liebt' ich dich immer doch!
Selbst als ich einst im polternden Bauch des Schiffs,
des schwerhinstampfenden, dich rasen
hörte, im Schoss deines Zornes selber.

Wiewohl ich wehrlos in meiner Koje lag,
der Sorge näher, denn der Bewunderung,
und liebend, wenn ich's recht erwäge,
einzig gedachte des wackren Schiffes

und seiner Führer, vom Kapitäne bis
zum Heizer, die dein grausiges Todesdrohn
mit schlichter Zucht und Mannheit brachen,
irrlos aufs morgende Ziel gerichtet.

Umsonst war's damals, wie du auch wütetest.
Allein du sorgst entrissener Beute nicht.
Und spottet dein der Bug von Eisen,
rettet sich schwer die befallne Barke.

An armer Fischer Hütten und Booten hast
du dich geübt, vergriffen an ihnen selbst;
die kümmerlich von dir sich nährten,
hast du zerschmettert an deinen Klippen!

Und doch - und doch! Treubrüchig-vergessliches,
kühl-heitres, schicksalsträchtiges, ewiges Meer,
ich lieb', ich lieb' dich auch noch, wenn du
männerverschlingende Wogen schleuderst,

ein Gleichnis ungebrochener, erster Kraft,
ein Zeugnis ungezähmtesten Herrentums,
Länder andonnernd, deren Völker
gram dem heroischen Traum hinwandeln

vertieftem Lebens, träge hinabgebeugt
in müder Weisheit ärmliches Regeljoch,
sich mühend, ein Geschwärm Termiten,
emsig und zärtlich, zur Ehre Gottes, -

des Gottes nicht, der Deiner Geweide Sinn:
als der ein Gott gross-schreitender Leidenschaft,
ein Gott, noch jeden Augenblick Manns,
Welten zu stürzen wie zu gebären ...

Von hohen Alpen schau' ich dich, Ocean,
wie du des Landes felsige Küste stürmst,
des Landes, des ich treu gedenke,
zürnend gedenke wie einer Heimat, -

und ruf ' dir zu, feindseliger Freude hell:
Dank, Dank, dass du noch Du bist, Verwegener,
dich selbst erfüllend und dein Wesen, -
sei's um den Preis auch knirschender Opfer -!

Bis einst der Mensch, gewachsen an deinem Bild,
dir's heim in ebenbürtigen Thaten zahlt, -
und Du ohnmächtig knirschst und frohndest
deinem dich peitschenden Xerxes, Sklave!


  Christian Morgenstern . 1871 - 1914






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